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Vorwort zur Reihe

Die Gebrauchsarten des Wortes „Verwahrung“, so erläutert das Deutsche Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, „sind mannigfaltig. Die große Mehrzahl enthält die Grundbedeutung ‚für etwas sorgen, etwas sichern, beschützen, behüten’ und ‚etwas in Verwahrung, Bewachung, Obhut, unter Aufsicht haben’“. „Sehr oft [aber]“, so heißt es weiter, „kreuzen sich beide: auch die zweite schließt oft den Zweck des Schutzes, der sicheren Bewahrung, die erste häufig Maßnahmen des Verschließens [und] Bewachens in sich“. Der Begriff umreißt also ein weites semantisches Feld – und einem wichtigen Teil der sozialen Praxis, die sich mit diesem in der Geschichte verband, ist diese neue Buchreihe gewidmet. Beschäftigen soll sie sich mit allen seit dem Spätmittelalter feststellbaren Formen der Verwahrung von Menschen – in Klöstern und Konventen, Siechhäusern, Spitälern und Lazaretten, in Türmen, Ratskellern oder „Stockhäusern“, ganz besonders aber in den größeren und kleineren Hospitälern, Armen-, Waisen-, Zucht- oder Arbeitshäusern der Frühen Neuzeit und in den seit dem 19. Jahrhundert sich herausbildenden modernen Strafvollzugsanstalten. Verpflichtet fühlt sich die Reihe „Geschlossene Häuser“ dabei drei Orientierungen:

1. Sie richtet den Blick erstens auf eine bewusst breit gewählte Palette von Institutionen. Thematisiert werden sollen bestimmte Formen des sozialen Zusammenlebens, für die obrigkeitliche Ordnungskonzeptionen zumindest dem Anspruch nach stärker wirksam waren als anderswo. Der Titel „Geschlossene Häuser“ weist dabei explizit darauf hin, dass es um Orte höherer Herrschaftsverdichtung geht, an denen zwischen „drinnen“ und „draußen“ bewusst scharfe Grenzen gezogen wurden. Charakteristisches Kennzeichen dieser Orte war die räumliche Absonderung von Menschen vom Rest der Gesellschaft – ein soziales Phänomen, das in der Geschichte in vielfältigen Formen realisiert wurde, von denen keine von vornherein aus der Betrachtung ausgeschlossen werden soll. Anliegen der Reihe ist es vielmehr, den vergleichenden Blick auf diese Institutionen zu schärfen, sowohl in thematischer wie in chronologischer Hinsicht.

2. Gewählt wurde von den Herausgeber/innen deshalb zweitens ein langer chronologischer Rahmen. Die Absichten und Ziele, die in der Geschichte zur Errichtung von ganz unterschiedlichen Institutionen der Weltabsonderung geführt haben, sind überaus vielfältig. Feststellen lässt sich eine reiche Palette von Motiven, von denen die Versorgung kranker und alter Menschen, die Erziehung von Kindern und Jugendlichen oder die Bestrafung abweichenden Verhaltens nur einige wenige sind. Chronologisch, so die dieser Reihe zugrunde liegende Überzeugung, lassen sich diese Zielbestimmungen nicht scharf voneinander abgrenzen – sie flossen vielmehr über die Jahrhunderte hinweg ineinander, auch wenn sie natürlich jeweils Konjunkturen kannten und die historische Tendenz zur institutionellen Ausdifferenzierung an der Schwelle zur Moderne nicht zu übersehen ist. Der lange von der Forschung vertretenen Meinung jedoch, das Jahr 1800 symbolisiere den Schritt vom Typus der multifunktionalen frühmodernen „Verwahranstalt“ zum Typus der modernen, spezifischen Zielen gewidmeten rationalen Zweckanstalt, verweigert sich die Reihe. Wert legt sie vielmehr darauf, die verschiedenen historischen Institutionen der Verwahrung in einer Perspektive der longue durée zu analysieren und das über die Epochengrenzen hinweg Gemeinsame in der institutionellen Praxis und im sozialen Miteinander der Menschen, die diese institutionelle Praxis prägten, zu betonen.

3. Drittens schließlich ist es Anliegen der Reihe „Geschlossene Häuser“, der Komplexität der historischen Entwicklung Rechnung zu tragen. Als in den 1970er Jahren vor allem im französischen und angelsächsischen Raum die ersten großen historischen Studien zur Geschichte des Gefängnisses und zu anderen „totalen Institutionen“ geschrieben wurden, waren die Leitbegriffe dieser Historiographie „Einsperrung“, „Kontrolle“, „Zwang“ und „Disziplinierung“. Für die Herausgeber/innen grundlegend ist jedoch die Überzeugung, dass die verschiedenen Formen der institutionellen Verwahrung von Menschen in der Geschichte mit solchen konzeptuellen Werkzeugen nur unzureichend erfasst sind. Vertreten wird von ihnen vielmehr eine Perspektive auf das Zusammenleben in institutionellen Ordnungsarrangements, die Formen der vertikalen Herrschaftsdurchsetzung und der Gewaltausübung ebenso in den Blick nimmt wie Logiken des sozialen Miteinanders im Alltag, die individuellen und kollektiven Aneignungen und Überschreitungen von Strukturen und Grenzen, den kreativen Umgang mit aufgestellten Regeln, den Widerstand gegen sie. Die Geschichte der Institutionen der Verwahrung ist für sie deshalb nicht nur eine Geschichte von Macht und Herrschaft, sondern eine Geschichte von Gesellschaft und Kultur und von konkreten Erfahrungs- und Handlungswelten jener Frauen und Männer, die in diesen Institutionen gelebt haben.

Neben ihrer methodologischen Offenheit vertritt die Reihe „Geschlossene Häuser“ bewusst eine interdisziplinäre Ausrichtung. Auch wenn ihr Fokus auf der Geschichte liegt, bleibt für die Herausgeber/innen der Austausch mit anderen kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen eine wichtige Voraussetzung für jede fruchtbare Forschung zu den Institutionen der Verwahrung. Schließlich ist die Reihe geographisch weder auf den deutschsprachigen, noch auf den europäischen Raum begrenzt, sondern lädt ausdrücklich zum Blick über den „abendländischen Tellerrand“ ein.


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